Podiums- und Publikumsgespräch 2020 - digital auf Zoom
Katja Simon
Abschied und Trauer in Zeiten von Corona
24. November 2020, 16 - 18 Uhr - digital auf Zoom
Hans Nau, Mitglied der Charta-Initiative Stuttgart berichtete für uns:
Ein Podiums- und Publikumsgespräch mit Betroffenen, Fachleuten und Interessierten in der Reihe „Sterben in Stuttgart - Wunsch und Wirklichkeit“.
mit
Chris Paul, Trauerbegleiterin, Fachautorin und Dozentin
Ute H. Züfle, Bestatterin, Trauerbegleiterin, Trauerrednerin
Brigitte Herrmann-Wunder, Angehörige
Ingrid Wöhrle-Ziegler, Klinikseelsorgerin
Heinz- Peter Ohm, Gesundheitsamt Landeshauptstadt Stuttgart
Moderation: Martin Hoffmann
“Trauern ist die Lösung, nicht das Problem!” sagt Chris Paul, Trauerbegleiterin, Fachautorin & Dozentin. Aber wie ging denn das - trauern im Jahr 2020?
Die Veranstalter der Podium- und Publikumsgespräche standen vor der Wahl: die Veranstaltung ausfallen zu lassen oder das Experiment einer digitalen Veranstaltung einzugehen. Sie haben es gewagt und das sehr erfolgreich, was nicht nur die Zahl der Teilnehmer*innen betrifft sondern auch die Intensität der Vorträge und des Austauschs. Über 110 Teilnehmer*innen beteiligten sich und das Format ermöglichte es auch, dass Menschen teilnehmen konnten, die ansonsten nicht gekommen wären, aus dem ganzen Bundesgebiet und dem deutschsprachigen Ausland. Das Thema war hochaktuell, Abschied und Trauer in Zeiten von Corona. Eine im Verlauf der Veranstaltung durchgeführte Befragung ergab, dass fast die Hälfte der Teilnehmer*innen aktuell in Trauer ist.
Es kamen Vertreter*innen mit unterschiedlichen Blickwinkeln zu Wort: Chris Paul, eine Trauerberaterin aus Bonn, die schon über 20 Jahre in dem Feld tätig ist. Des Weiteren Experten aus Stuttgart: eine Bestatterin und Trauerrednerin, eine Klinik -Seelsorgerin, ein Vertreter des Gesundheitsamtes und ein Geschwisterpaar, das während des Lockdowns im März/April den Vater verloren hatte.
Alle Beteiligten sprachen von einer großen Verunsicherung, da bekannte Rituale und Handlungen in der Abschiedsphase und während der Beerdigungszeremonie, nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich waren. Die Gemeinschaft der Trauernden, die Halt geben kann, sie fehlte. Diese Pandemie konfrontiert uns alle stärker mit der Vergänglichkeit, war eine Aussage.
Die Angehörigen eines Verstorbenen berichteten, dass die Eltern seit mehr als 50 Jahren zusammenlebten und Besuche in der Phase des kompletten Lock-down nicht möglich waren, es nur die Möglichkeit der Kontaktaufnahme per Telefon gab. Die Eltern konnten das nicht verstehen, waren mit der Situation völlig überfordert. Der Vater verstarb, seine Frau konnte nicht dabei sein und Berührung ist so wichtig, um zu begreifen, dass jemand Geliebtes nicht mehr am Leben ist. Die extreme emotionale Belastung des Sterbenden und der Trauernden, lässt sich nur erahnen. Die Ehefrau des Verstorbenen lebt heute im Pflegeheim.
Der Vertreter des Gesundheitsamtes erläuterte die Regelungen in der ersten Phase des lock-down, die darauf ausgerichtet waren, den Zusammenbruch des Gesundheitssystems zu verhindern. Psycho-soziale Aspekte spielten damals keine Rolle. Die Seelsorgerin berichtete, dass es auch für die Behandlungsteams emotional sehr belastend war, einerseits die große Not der Menschen durch die Isolation zu sehen und andererseits die Verordnungen umsetzen zu müssen. Zurück blieben Angehörige, die resignierten, sich ohnmächtig fühlten.
Nach und nach konnten nahe Angehörige auch Sterbende im Krankenhaus in ihren letzten Stunden begleiten.
Nötig sind flexible Lösungen, die Suche nach alternativen Formen des Abschiedsnehmens. Gespräche mit Hinterbliebenen sind sehr wichtig, betonte die Bestatterin und Trauerrednerin, in denen nach alternativen, individuellen Lösungen gesucht wird, im Vertrauen darauf, dass es diese gibt. Als Möglichkeiten wurden genannt:
Liveübertragung von Trauerfeiern
Gesang der Trauerenden – Lieblingslieder der/des Verstorbenen -, in ihren Wohnungen, während der Sarg ins Grab abgelassen wird
Kerzen entzünden
Lieblingskekse der Mutter mit deren Namen verteilen
Bierflasche „ploppen“ lassen, eine Art Trauerparty feiern
Etwas in Sarg geben, was dem Verstorbenen wichtig war
Abschiedsfest auf der Lieblingswiese des Verstorbenen, wenn dies wieder möglich ist
Das Lieblingsessen der/des Verstorbenen kochen und gemeinsam verzehren
Trauerwege in Begleitung
Mit dem Überführungsfahrzeug an Orten vorbeifahren, die für den/die Verstorbene/n wichtig waren und dort warten Freunde/Bekannte zB. am Vereinsheim
Flechten von Armbändern, Perlen einfädeln, die ans Handgelenk der/des Verstorbenen gebunden wird
Trauertablets, Gesprächsmöglichkeiten über Handys
Der gemeinsame Austausch über den Verstorbenen, sein Leben, seine Gewohnheiten erleichtert den Einstieg in die Trauer. Der Verlust bekannter Rituale, macht den Weg frei, individuelle Formen zu finden, vielleicht ein „Gewinn“ der Pandemie?
Die Beteiligten waren sich einig, dass Trauernde keine Lobby haben. Sie brauchen Unterstützung, da sie nicht in der Lage sind, sich *laut“ zu Wort zu melden. Sie sind mit sich beschäftigt, mit den Gefühlen von Ohnmacht, Resignation oder manchmal auch stiller Wut.
Was wir in der Veranstaltung erfahren haben ist, dass kreative, individuelle Lösungen möglich sind, improvisiert werden muss und dies auch gelingen kann. Dies gilt sowohl für die Betroffenen als auch die Institutionen, in denen Menschen ihre letzten Tage verbringen. Die Pandemie stellt uns weiterhin vor große Herausforderungen, die wir meistern können. Das beweisen viele positive Beispiele. Die Vorträge der Podiumsteilnehmer*innen machten dies deutlich.
Den Veranstalter sei Dank, dass sie das Wagnis eingegangen sind. Es war so wertvoll!
Links:
Eine Veranstaltung der Landeshauptstadt Stuttgart/Sozialamt und Bürgerstiftung Stuttgart mit dem Palliativ-Netz Stuttgart
Kontakt:
Katrin Gebicke, 0711/72 23 51 – 104, hannakatrin.gebicke@buergerstiftung-stuttgart.de