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Portrait Patricia O'Rourke

 

Eine ungewöhnliche Frau: Patricia O’Rourke

von Adrian Zielcke (2013)

Sie hat nicht nur einen ungewöhnlichen Namen, sie ist auch eine außergewöhnliche Frau. Patricia O’Rourke hat einen amerikanischen Vater, der seinerseits aus einer irischen Familie kommt. Die Heimleiterin des Seniorenzentrums im historischen Spitalhof in Korntal-Münchingen wirkt jünger als ich gedacht hatte. Auf die Frage, was denn ihr Antrieb gewesen sei für ihren Beruf, da sagt sie ganz selbstverständlich, ohne dass sie lange darüber nachdenken muss: „Meine Oma! Meine Oma war in Pflege in einem Heim, ich habe sie jede Woche mehrere Male besucht, da war ich 14 Jahre alt. Damals wurden Alterskranke fixiert, sie wurden mit Bauchgurten an ihr Bett festgebunden. Nur wenn ich kam, wurde sie losgebunden, dann sind wir in die Cafeteria des Heims gegangen. Ich dachte mir, dass es doch nicht sein kann, dass so das Ende des menschlichen Lebens aussieht. Meine Arbeit mache ich bis heute sehr gerne.“ Das sieht man ihr an. Patricia O’Rourke ruht in sich.

So hat sie sich systematisch von der Pflegehelferin, der klassischen Altenpflegerin ständig weiter gebildet. Dann wurde sie Wohnbereichsleiterin und lernte das Pflegemanagement. Und als 2006 der Spitalhof in Korntal-Münchingen eröffnet worden ist, da übernahm sie die Leitung. Das Seniorenzentrum ist nicht nur eine Einrichtung für alte Menschen, es nimmt auch dementiell veränderte Menschen auf und es begleitet sterbende, todkranke Menschen auf ihrem letzten Weg. Von den 75 Plätzen sind 25 für dementiell veränderte Bewohner reserviert. Man hat hier verstanden, dass es nicht darum geht, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben. Das ist ein historischer Fortschritt, denkt man an die Jugend von Patricia O’Rourke und die Erinnerungen an ihre Großmutter.

Jetzt werden erstmals 21 ehrenamtliche Mitarbeiter als „Wegbegleiter“ von einer Theologin geschult. „Das Ziel ist es“, sagt Patricia O’Rourke, „vom Tag des Einzugs bis zum letzten Atemzug die Menschen zu begleiten. Die Mitarbeiter lernen durch Kommunikation zu den Sterbenden Nähe zu finden und dennoch Abstand zu halten. Und ohne ehrenamtliche Mitarbeiter läuft hier gar nichts mehr. Wenn Sie das Lebensende von Menschen angemessen begleiten wollen, brauchen Sie viel Energie und engagierte Menschen, die diese Aufgabe übernehmen. Das ist die Spanne, in der ich leben muss: Ich soll und will natürlich gute Betreuung machen, habe aber wenig Geld zur Verfügung. Hier gibt es 60 hauptamtliche Kräfte und noch einmal so viele ehrenamtlich Engagierte. Diese unglaubliche Zahl verdanken wir auch der dörflichen Umgebung: Da finden wir Menschen, die bei uns mitmachen.“

Und sie erzählt weiter: „Bei uns kann jeder als Bewohner kommen, in welcher Phase auch immer er lebt - auch in der Endphase, dann wird er hier palliativ begleitet. Die Verweildauer wird immer kürzer, da die ambulanten Dienste mittlerweile sehr gut ausgebaut sind. Aber wenn das häusliche Netzwerk zusammenbricht, wenn die Verwandten überfordert sind oder selbst sterben, dann kommen sie hierher - manche für fünf Tage, manche für fünf Jahre. In dieser Zeit baut man eine Bindung zu dem Sterbenden auf, man muss etwas Distanz wahren, darf aber auch nicht abgebrüht und gefühllos werden. Das ist eine große Herausforderung. Man muss lernen, einen Ausgleich für sich zu finden.“

Wenn der Hausarzt die Diagnose stellt, dass ein Bewohner ein „Palliativ-Fall“ geworden ist, werden sie im Seniorenzentrum Spitalhof bis zu ihrem Tod begleitet. O’Rourke: „Wir sorgen für eine einigermaßen schmerzfreie Begleitung. Wir versetzen uns in seine Lage und versuchen, seine Interessen zu berücksichtigen: Ist er beispielsweise kirchlich geprägt oder steht er der Kirche fremd gegenüber? Wir können zwar nicht Tag und Nacht ohne Unterbrechung neben ihm an seinem Bett sitzen. Aber wir lesen ihm vor, wir halten uns im Zimmer auf, wir reden, wir schweigen. Manche brauchen eine Rundumbetreuung rund um die Uhr, andere Bewohner, die ruhiger sind, wollen auch alleine gelassen werden. Das muss jeder für sich herausfinden. Wir laden außerdem regelmäßig Verwandte, ehrenamtliche Mitarbeiter und Bewohner ein, um in einer Andacht der Verstorbenen zu gedenken und anschließend zusammen Kaffee zu trinken. Solche Gottesdienste sind sehr wichtig für die Lebenden, denn diese erfahren, dass sie nach ihrem Tod nicht gleich in Vergessenheit geraten. Es ist für die Menschen, die hier aufgenommen und bis zu ihrem letzten Atemzug begleitet werden, ein großes Glück. Aber leider betreuen wir nur einen kleinen Teil aller Sterbenden. Da ist noch viel zu tun.“

Das Heim öffnet sich auch für Migranten, ein sehr schwieriges Kapitel für die kirchlichen Einrichtungen. Was tun mit den türkischen Alten, Dementen, Sterbenden? Kinder und Jugendliche. Auch die Begegnung zwischen Jung und Alt hat sich das Seniorenzentrum zur Aufgabe gemacht - das ist für viele eine ganz neue Erfahrung. Jugendliche müssen zunächst auf den Besuch bei dementen Menschen vorbereitet werden. Gleichzeitig will das Heim natürlich auch Nachwuchs für die Pflegeberufe gewinnen. „Der Markt ist leergefegt.“ Und es gibt andererseits kaum mehr solche Großfamilien, in der das Geboren-Werden, das Leben und das Sterben zusammen erfahren werden.  Wir haben Demenz und Tod aus unserem Alltag verdrängt. Die einfache Erkenntnis, dass der Tod zum Leben gehört wie die Nacht zum Tag, muss erst wieder erlernt werden. Dazu gehört auch die Erfahrung, die Patricia O’Rourke immer wieder macht: „Wir bekommen von den Bewohnern und den Angehörigen sehr viel zurück. Die Menschen sind dankbar, wenn sie bis an ihr Lebensende als Menschen behandelt werden.“ Patricia O’Rourke hat ihre Lebensaufgabe gefunden.